Wir müssen reden

Der rbb hatte am gestrigen Dienstag um 20.15 Uhr nach Frankfurt (Oder) in das Einkaufszentrum Oderturm zum Bürger-Talk „Wir müssen reden“ geladen. Eine genauere Zahl von Besuchern war nicht so leicht auszumachen aber die Kulisse genügte, um die Stimmung ablesen zu können. Am Morgen danach war zumindest im rbb-Videotext von „aufgeladener Stimmung“ zu lesen. Das Thema der Debatte war: Zwischen Wut und Existenzangst – warum gehen im Osten so viele auf die Straße? Ohne dem Ergebnis der 90 Minuten Sendezeit vorgreifen zu wollen, schien das eher eine rein rhetorische Frage oder ein entsprechender Titel zu sein.

Ein Teil der geladenen Gäste des Abends hatten durchaus Zugkraft, denn mit Gregor Gysi (DIE LINKE) und dem stellvertretenden Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion, Leif Erik Holm, waren schon mal Akzente gesetzt. Dass dann als SPD-Vertretung die sächsische Staatsministerin für Soziales, Petra Köpping, erschien, war verwunderlich, wo doch Brandenburg sozialdemokratisch regiert wird und alle Bundestagsdirektmandate von der SPD errungen wurden. Über den Grund kann man nur spekulieren. Antje Kapek (B’90/Grüne), Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, schien der Ausgewogenheit der Zweiländeranstalt rbb zu dienen und sollte den Standpunkt der Hauptstadt vertreten. Als stimmungsmäßiger Missgriff erwies sich Journalistenkollege Olaf Sundermayer, denn bereits nach kurzem Statement kamen aus dem Publikum deutlich laute Buhrufe und die Äußerung „Hetzer“. Das war kein Wunder, denn genau jener Medienvertreter, der mal als „Kollege der Recherche“ oder „Beobachter“ betitelt wird, hat ausreichend bewiesen, welche Haltung er hat und vertritt, wenn es um die Einschätzung von Bürgerprotesten auf der Straße in Cottbus, Frankfurt (Oder) oder anderswo im Lande geht. Sollten Verantwortliche des rbb noch ein Bauchgefühl haben, muss Herr Sundermayer längst als Medienvertreter als verbrannt angesehen werden und vom Sender weg. Er überzeugt keinen der Protestierenden mehr.

Die Diskussion am Abend mit Handwerksmeistern und engagierten Bürgern für soziale Belange und dringend erforderlicher Rettung des wirtschaftlichen Mittelstandes brachte einige Schnittmengen in Sachen politischer Forderungen klar zum Ausdruck: Beendigung der Kostenspirale bei Energie und Lebenshaltung, finanzielle Stützung kleiner und mittlerer Unternehmen und sozial schwacher Gruppen, keine Geldverteilung mit der Gießkanne, Verhandlungen zu Waffenstillstand und Frieden in der Ukraine, Ende der Kriegshetze gegen Russland, Öffnung von Nord-Stream 2.

Bemerkenswert waren besonders die Redebeiträge von Gregor Gysi als außenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE und von Leif Erik Holm von der AfD. Wäre Gysi nicht zum AfD-Vertreter hin ausfällig geworden, indem er die AfD als „Faschisten“ bezeichnete, die man „unbedingt hätte verhindern müssen“, wäre auch er noch besser als Redner anerkannt worden. Immer wieder versuchten die Moderatoren im Verlaufe der Sendung dem Namen AfD ein negatives politisches Kalkül anzuhaften. Aber das fruchtete nicht. Der sachliche und klare Auftritt von Leif Erik Holm brachte eher die Botschaft an das Publikum rüber: Ihr seid bei der AfD und ihren Zielen in guten Händen.

Der rbb als öffentlich-rechtlicher Sender bleibt beim Bürger in seinem gesetzlichen Auftrag umstritten; so der Eindruck vor Ort oder auch am Fernsehgerät zu Hause.